Deutsch-brasilianische Zusammenarbeit

Forschungsprojekt zu Digitalem Zwilling ist gestartet

Die Ursprünge des Digitalen Zwillings liegen in der Raumfahrt. Die NASA nutzte das Konzept des Digitalen Zwillings bereits 2002. Da während eines Raumfluges das reale System, beispielsweise eine Raumfähre oder ein Satellit, nicht zur Verfügung steht, ist ein digitales Modell notwendig, um Fehler im Flugsystem zu detektieren oder Reparaturen zu erproben. Das digitale Flugsystem wurde besser abgebildet, wenn aus dem laufenden, realen Flugsystem die Betriebsdaten erfasst und an das digitale Modell übertragen wurden. So konnte das Betriebsverhalten des realen Systems auch aus der Ferne überwacht und durch entsprechende Simulationsmodelle sogar vorhergesagt werden.


Diese Potenziale lassen sich auf die industrielle Produktion übertragen: Hierbei beschreibt der Digitale Zwilling ein digitales Abbild eines realen Prozesses, einer realen Maschine oder eines realen Produktionssystems. Kern des Digitalen Zwillings sind auch hier dem Anwendungszweck angepasste Simulationsmodelle. Diese werden mit in Echtzeit erfassten Betriebsdaten des jeweiligen Systems zusammengeführt. Dadurch steht dem Anwender eine Entscheidungshilfe bereit, welche den Betrieb überwacht sowie mögliche Störungen prognostiziert, die durch entsprechende Steuereingriffe verhindert werden können.


Zur Umsetzung des digitalen Zwillings werden „datenbasierte“ oder „physikbasierte“ Modelle verwendet. Datenbasierte Modelle basieren auf Methoden zur Analyse von erfassten Daten. Hierfür kommt häufig das Maschinelle Lernen zum Einsatz, welches ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz darstellt. Durch die zunehmende Digitalisierung der Produktion im Rahmen von Industrie 4.0 und den damit einhergehenden geringen Produktionskosten für Sensoren werden immer mehr Daten durch Messungen und Überwachungen erfasst. Dies begünstigt den Einsatz von datenbasierten Modellen. Physikbasierte Modelle hingegen bilden reale Phänomene auf Grundlage von bekannten Gesetzmäßigkeiten aus der Physik ab.


Daten- und physikbasierte Modelle besitzen individuelle Vor- und Nachteile, können sich jedoch auch ergänzen. Liegen beispielsweise nicht genügend Daten für das Ableiten eines datenbasierten Modells vor, kann ein physikbasiertes Modell zur Generierung zusätzlicher Datensätze genutzt werden. Andererseits ist es möglich, physikbasierte Modelle durch die Erkenntnisse aus datenbasierten Analysen zu erweitern und so noch besser auf das reale System abzustimmen. Demnach sind Anwendungsfälle denkbar, in denen eine Fusion beider Modellierungsarten zu einem hybriden Digitalen Zwilling führen. Durch die Fusion beider Modellierungsarten entsteht ein verbessertes digitales Modell eines realen (Produktions-) Systems, wodurch das Verhalten des realen Systems besser analysiert und prognostiziert werden kann. Eine schematische Darstellung des hybriden Digitalen Zwillings ist in Abbildung 1 zu erkennen.


Einen solchen hybriden Digitalen Zwilling zu erforschen, ist das Ziel des deutsch-brasilianischen Forschungsprojektes „Modellierung von Produktionssystemen unter Nutzung heterogener und unstrukturierter Daten im Kontext der Industrie 4.0“, das im Januar 2020 gestartet ist. In diesem internationalen Projekt wird ein Rahmenwerk modelliert, welches datengetriebene Modelle systematisch mit physikbasierten Simulationsmodellen verknüpft. Dabei wird eine derartige Fusion anhand eines Referenz-Produktionssystems exemplarisch konzipiert und implementiert. Daraus sind Rückschlüsse möglich, die die Konzipierung eines hybriden Digitalen Zwillings auf Fabrik-, Maschinen- und Prozessebene ermöglichen. FBK kooperiert dabei mit Forschern der Federal University of Rio Grande do Norte. Diese internationale Zusammenarbeit ermöglicht eine Berücksichtigung variierender Grade an erfassten Produktionsdaten. Dies ist z.B. in einem Produktionsnetzwerk relevant, welches sowohl Standorte in Hochtechnologieländern als auch in Schwellenländern enthält. Gefördert wird das Forschungsprojekt von der Förderlinie „DFG-CAPES Collaborative Research Initiative“ zum Thema Industrie 4.0. Von deutscher Seite erfolgt die Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), während die brasilianische Seite durch das brasilianische Bundesministerium für Bildung (CAPES) unterstützt wird.


Die einzelnen Arbeitspakete des Forschungsprojektes werden bilateral bearbeitet. Hierzu werden Informationen über den Bearbeitungsstatus bei wöchentlichen Jour Fixes ausgetauscht und Lösungen gemeinsam erarbeitet. Wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit ist neben nationalen und internationalen Publikationen auch das jährliche Treffen aller Projektbearbeiter aus der Förderlinie DFG-CAPES, welches in diesem Jahr im September in Hamburg stattfindet.

Förderer:

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
DFG-CAPES Collaborative Research Initiative

Kontakt

M. Sc. Pascal Langlotz
E-Mail: pascal.langlotz(at)mv.uni-kl.de
Telefon: 0631 / 205 – 4225