Carl-Zeiss-Stiftungs-Juniorprofessur Maschinelles Lernen in der Verfahrenstechnik
In der Zeit der "Digitalisierung" bieten sich für die Verfahrenstechnik ganz neue Möglichkeiten, die aber auch mit neuen Herausforderungen verbunden sind. Eine der zentralen Herausforderungen der "digitalisierten" Verfahrenstechnik wird sein, Methoden des Maschinellen Lernens (ML) gewinnbringend zu integrieren und zu etablieren, z.B. zur Vorhersage von Stoffdaten oder in der Prozesssimulation.
ML Methoden sind bislang insbesondere dort erfolgreich, wo sie Zugriff auf sehr große Datenmengen haben. Hierbei unterscheidet sich die Verfahrenstechnik grundlegend von "klassischen" Anwendungsgebieten des Maschinellen Lernens. Bei der Text- und Bilderkennung beispielsweise können Algorithmen auf einen nahezu unerschöpflichen Vorrat an Trainingsdaten zurückgreifen, während in der Verfahrenstechnik jeder Datenpunkt aufwendig erzeugt werden muss, z.B. durch eine Stoffdatenmessung. Auf der anderen Seite ist die Verfahrenstechnik nicht alleine auf die verfügbaren Daten angewiesen, sondern verfügt zusätzlich über einen reichhaltigen Wissens- und Erfahrungsschatz über physikalische Zusammenhänge. Das führt unter anderem zu folgenden Fragestellungen:
- Wie können ML Methoden auf unvollständige und heterogene Datensätze in der Verfahrenstechnik angewendet werden?
- Wie kann verfügbares physikalisches Wissen sinnvoll in a-priori rein datengetriebene ML Methoden integriert werden, um hybride Ansätze zu entwickeln?
- Wie zuverlässig sind die Vorhersagen von (hybriden) ML Methoden? Können diese auch für sicherheitsrelevante Aufgaben eingesetzt werden?
- Falls die Datenbasis aufwendig ergänzt werden muss, welche Messungen versprechen den größten Zugewinn an Information und sollten daher durchgeführt werden?

Carl-Zeiss-Stiftungs-Juniorprofessur Maschinelles Lernen in der Verfahrenstechnik
JP Dr.-Ing. Fabian Jirasek
Forschungsthemen
- Vorhersage von Soffdaten mit Maschinellem Lernen (ML)
- Entwicklung hybrider Ansätze: Integration von physikalischem Wissen in ML Methoden
- Interpretierbarkeit von ML Methoden in der Verfahrenstechnik
- Design of Experiment und Active Learning
- Automatisierung von verfahrenstechnischen Anlagen
Ausgewählte Projekte
Vorhersage von Stoffdaten mit Matrix-Vervollständigungsmethoden
Da die experimentelle Bestimmung von Stoffdaten aufwendig und teuer ist, sind Vorhersagemethoden in der Verfahrenstechnik von fundamentaler Bedeutung. Für binäre Mischungen lassen sich Stoffdaten als Einträge einer Matrix darstellen, in welcher Zeilen und Spalten die Komponenten der Mischungen repräsentieren. Diese Matrix ist praktisch immer unvollständig beobachtet. Die Vorhersage der Stoffdaten für bisher nicht untersuchte Mischungen kann als Matrix-Vervollständigungsproblem betrachtet werden. Hierfür existieren Methoden des Maschinellen Lernens, mit welchen sich die unbeobachteten Einträge alleine auf Basis der beobachteten Einträge vorhersagen lassen. Am LTD wenden wir solche Methoden zur Vorhersage von verschiedenen Stoffdaten, z.B. Aktivitätskoeffizienten, Henrykonstanten und Diffusionskoeffizienten, an.
Entwicklung hybrider Stoffdatenmodelle: Machine Learning meets Physical Knowledge
Methoden des Maschinellen Lernens sind a-priori rein datengetrieben, irgnorieren also die explizite Kenntnis physikalischer Zusammenhänge, die in der Verfahrenstechnik in vielen Fällen zur Verfügung steht. Am LTD untersuchen wir, wie Methoden des Maschinellen Lernens um explizites physikalisches Wissen ergänzt werden können, um neuartige hybride Ansätze zu entwickeln. Ein Beispiel ist die Integration von Reinstoffdeskriptoren oder physikalischen Modellen in Matrix-Vervollständigungsmethoden, um hybride prädiktive Stoffdatenmodelle zu erhalten.
Aufklärung von Strukturgruppen in Mischungen mit NMR Spektroskopie und Support Vector Classification
Die NMR Spektroskopie ist ein mächtiges Werkzeug zur Strukturaufklärung von Komponenten und quantitativen Analyse von Mischungen. Die Auswertung von NMR Spektren ist allerdings häufig aufwendig und erfordert eine große Erfahrung des Anwenders. Am LTD untersuchen wir, wie mithilfe von Support Vector Classification die Auswertung von NMR Spektren unterstützt oder gar automatisiert werden kann. Wir entwickeln dabei Methoden, mit welchen relevante Strukturgruppen in komplexen Mischungen anhand einfacher eindimensionaler NMR Experimente identifiziert und quantifiziert werden können.
Prozessdesign und -simulation mit schlecht spezifizierten Mischungen
Mischungen deren Zusammensetzung nicht vollständig bekannt ist, sog. schlecht spezifizierte Mischungen, treten häufig in verfahrenstechnischen Prozessen auf, z.B. Fermentationsbrühen in der Biotechnologie. Solche Mischungen sind besonders herausfordernd für Prozessingenieure, da ihre Eigenschaften nicht mit klassischen thermodynamischen Modellen beschrieben werden können. Am LTD entwickeln wir Methoden, um schlecht spezifizierte Mischungen mit "NMR-Fingerprints" zu charakterisieren und damit im Rahmen von Prozessdesign und -optimierung modellieren zu können.